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Autorenbildfowlersbay

Genug kann nicht genügen

Aktualisiert: 29. Okt. 2019



„Du Hedonist.“ Das klingt nicht nach einem Kompliment. Warum? Weil der moderne Hedonist einen schlechten Ruf hat – geht es ihm doch ausschließlich um die Steigerung seines Wohlbefindens. Woran erkennt man einen Hedonisten? Er kostet das Leben in seiner Vielfalt aus. Rastlos sammelt er lustvolle Erlebnisse. Anstrengungen vermeidend, sucht er sein Glück in der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung. Vorfreude ist ihm nicht die schönste Freude. Sein Glück vermutet er im Hier und Jetzt:


„I want it all, and I want it now“ (Freddie Mercury, Queen)

Die Wurzel des Hedonismus


Die Spur führt in die griechische Antike des 4. und 5. Jahrhunderts vor Christus. Eine Epoche, geprägt von Gedanken über die geglückte Lebensführung. Der erste Philosoph, der eine – überschaubar komplexe – Theorie über das Wesen des Glücks entwirft, ist Aristippos von Kyrene (435 bis ca. 355 v. Chr.).


Aristippos und die ihm folgenden Hedoniker glauben nicht an ein Weiterleben nach dem Tod. Deshalb hat die bestmögliche Gestaltung des Diesseits Vorrang vor vagen Jenseitsversprechen.


Die Hedoniker gehen von konträren Gefühle aus: Lust bzw. Vergnügen und Unlust bzw. Schmerz. Während die Lust (hēdonḗ) einer sanften Wellenbewegung des Meeres gleicht, versetzt Unlust in stürmische Unruhe. Wie findet der Mensch im permanenten Wechsel dieser Gefühlszustände sein Glück? Indem er die Zahl lustvoller Augenblicke maximiert und Schmerz konsequent ausweicht.


„Was Lust bringt, ist gut; was Unlust schafft, ist schlecht: alles andere ist indifferent.“ (Windelband)

Das Glück versprechende Gute ist die


„möglichst intensive Lust des Augenblicks“. (Windelband)

Diogenes Laertius über Aristippos:


„Er genoss die Vergnügungen, die sich ihm darboten und jagte denen nicht mühsam nach, die er nicht vor sich sah.“

Das Luststreben ist angeboren, es zu verdrängen wider die menschliche Natur:


„Ein Beweis, dass Vergnügen das höchste Gut sei, liege darin, dass es uns unbeabsichtigt, von Kind auf gleichsam einheimisch sei“ (Diogenes Laertius über Aristippos)

Anstrengungen sind zu vermeiden

Was verbindet Aristippos mit heutigen Hedonisten?


Vor allem das stete Verlangen nach intensiven sinnlichen Eindrücken, Abwechslung und Bewegung. Die einzelne Lustempfindung ist um ihrer selbst willen erstrebenswert – das Glück der einzelnen Lüste wegen. Eine weitere Gemeinsamkeit: die Ablehnung gesellschaftlicher Zwänge und staatlicher Vorschriften.



Was unterscheidet Aristippos von heutigen Hedonisten?


Aristippos will Herr über seine Begierden sein – die einzelnen Lüste besitzen, ohne von ihnen besessen zu sein. Es geht ihm um eine von Vernunft und Einsicht geprägte Kultivierung der Genussfähigkeit, nicht um sinnlosen und rauschhaften Konsum.


Im Hinblick auf ein gelungenes Leben ist es besser, die Lüste zu beherrschen, als sich ihrer zu enthalten. Dafür bedarf es einer inneren Freiheit des Individuums gegenüber der Welt. Im Gegensatz zu Sokrates verwirklicht er diese nicht durch Entsagung, sondern durch ein reflektiertes Verständnis, durch ein


„vernünftiges Auskosten der Lust des Lebens“. (Windelband)

Hinzu kommt die Gabe, sich in schwierigen und entbehrungsreichen Zeiten die Ruhe und Heiterkeit der Seele zu bewahren.





Literatur

Diogenes Laertius: Von dem Leben und den Meinungen berühmter Philosophen, marixverlag, Wiesbaden 2008.

Horn, Christoph: Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern, 3. Auflage, Verlag C.H. Beck, München 2014.

Kranz, Walther: Die griechische Philosophie. Zugleich eine Einführung in die Philosophie überhaupt, Verlag Schibli-Doppler, Birsfeld, Basel 1955.

Windelband, Wilhelm: Geschichte der Abendländischen Philosophie im Altertum, 4. Auflage, Verlag C.H. Beck, München 1963.








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